Antrag / Anfrage / Rede
Lärmaktionsplan sowie Fragen zu der Beurteilung der Lärmkartierung und Aktionen im LAP 2024
Anfrage zur Stadtratssitzung am 01.06.2022
Der Lärmaktionsplan der Stadt Mainz wurde im März 2016 fortgeschrieben, und im Jahr 2018 ohne Änderungen nochmal bestätigt. Im Jahr 2022 soll eine neue Lärmkartierung in Auftrag gegeben werden, mit der Veröffentlichung des LAP ist dann nach Aussagen der Verwaltung 2024 zu rechnen.
1. Die Lärmbelastung ist in höheren Stockwerken deutlich höher als weiter unten. Die Lärmtechnische Untersuchung des LBM aus dem Jahr 2018 weist z.B. beim Haus „Am Sonnigen Hang 21“ für den 15. Stock um 7,5 dB(A) höhere Werte als für das Erdgeschoß aus. Dies ist für Marienborn besonders relevant, denn hier stehen viele Hochhäuser in unmittelbarer Nähe zu den Autobahnen. Dem Lärmaktionsplan der Stadt Mainz 2016 kann man nicht entnehmen, ob dieser Effekt berücksichtigt wurde, so wie der Text formuliert ist, wurden nur die niedrigen Werte in Bodennähe benutzt, um die Betroffenenanzahl zu ermitteln.
Wir fragen daher: Wird die Stadt Mainz im neuen LAP die Betroffenenzahl richtig ermitteln, indem für mehrstöckige Gebäude die Lärmbelastung pro Stockwerk und die Anzahl der Wohnungen und Bewohner errechnet wird?
2. Lärmaktionspläne sind zur Regelung von „Lärmproblemen und Lärmauswirkungen“ aufzustellen. Gemeint sind damit belästigende oder gesundheitsschädliche Geräusche im Freien, die gemäß § 47b Satz 1 Nr. 1 BImSchG als Umgebungslärm bezeichnet werden(1). Das Gesetz selbst definiert diese Begriffe wie folgt:
§ 47a Anwendungsbereich des Sechsten Teils
Dieser Teil des Gesetzes gilt für den Umgebungslärm, dem Menschen insbesondere in bebauten Gebieten, in öffentlichen Parks oder anderen ruhigen Gebieten eines Ballungsraums, in ruhigen Gebieten auf dem Land, in der Umgebung von Schulgebäuden, Krankenhäusern und anderen lärmempfindlichen Gebäuden und Gebieten ausgesetzt sind. Er gilt nicht für Lärm, der von der davon betroffenen Person selbst oder durch Tätigkeiten innerhalb von Wohnungen verursacht wird, für Nachbarschaftslärm, Lärm am Arbeitsplatz, in Verkehrsmitteln oder Lärm, der auf militärische Tätigkeiten in militärischen Gebieten zurückzuführen ist.
§ 47b Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes bezeichnen die Begriffe
1. „Umgebungslärm“ belästigende oder gesundheitsschädliche Geräusche im Freien, die durch Aktivitäten von Menschen verursacht werden, einschließlich des Lärms, der von Verkehrsmitteln, Straßenverkehr, Eisenbahnverkehr, Flugverkehr sowie Geländen für industrielle Tätigkeiten ausgeht;
2. ...
Nach dem Gesetz ist der Lärm von wesentlichen Straßen, Schienenwegen, Großflughäfen und weiteren Quellen zu berücksichtigen; die Auslösekriterien beziehen sich auf den gesamten Umgebungslärm. Deshalb soll nach § 47d Abs. 1 S. 3 BImSchG in der Fassung vom 19.6.2020 bei der Festlegung von Maßnahmen in Lärmaktionsplänen die Belastung durch mehrere Lärmquellen berücksichtigt werden. Gemäß Abs. 2 derselben Vorschrift haben die Lärmaktionspläne den Mindestanforderungen des Anhangs V der Richtlinie 2002/49/EG zu entsprechen. Nach Art. 1 lit. C dieser Richtlinie soll auf der Grundlage der Ergebnisse von Lärmkarten in Aktionsplänen Umgebungslärm soweit erforderlich und insbesondere in Fällen, in denen das Ausmaß der Belastung gesundheitsschädliche Auswirkungen haben kann, verhindert, gemindert und die Umweltqualität erhalten werden. Art. 3 lit. a der Richtlinie 2002/49/EG definiert "Umgebungslärm" nahezu wortgleich mit § 47b Nr.1 BImSchG (s.o.): „Unerwünschte oder gesundheitsschädliche Geräusche im Freien, die durch Aktivitäten von Menschen verursacht werden, einschließlich des Lärms, der von Verkehrsmitteln, Straßenverkehr, Eisenbahnverkehr, Flugverkehr sowie Geländen für industrielle Tätigkeiten ausgeht.“
Nach der deutschen und der europäischen Rechtslage ist es daher eindeutig, dass bei der Beurteilung der Lärmbelastung der Bevölkerung Lärmquellen nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern dass eine Gesamtbetrachtung des Umgebungslärms stattzufinden hat. Die bisherige Lärmaktionsplanung der Stadt kartiert die Belastungen einzeln nach den Lärmquellen, enthält jedoch keine Umgebungslärmkartierung als Summe der Einzelbelastungen, obwohl die verwendete Software diese erzeugen kann.
Wir fragen daher: Wird die Lärmkartierung 2022 eine Karte des gesamten Umgebungslärms enthalten, bei der alle Lärmquellen gleichzeitig in der Software berücksichtigt werden?
3. Auch die Bundesregierung fühlt sich der Beachtung des Gesamtlärms verpflichtet. Im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) heißt es auf Seite 49, unter der Überschrift „Infrastruktur“:
„Wir wollen Lärmbelastungen durch den Verkehr reduzieren, setzen uns für eine Reduzierung von mutwilligem Lärm ein und sorgen für mehr aktiven und passiven Lärmschutz. Um zu angemessenen Lärmschutzmaßnahmen zu kommen, werden wir die gesamte Lärmsituation berücksichtigen.“
Wir fragen daher: Wird sich die Stadt Mainz bei der Überarbeitung des Lärmaktionsplans im LAP 2024 an die gesetzlichen Vorgaben halten und Aktionen zur Bekämpfung des Gesamtlärms (s. hierzu oben Frage 2) im Bereich von Marienborn vorsehen? Wird die Betroffenenanzahl aufgrund der Gesamtlärmbetrachtung ermittelt? Wenn nein, warum nicht? Ab welcher Betroffenenzahl hält die Stadt Aktionen im LAP für notwendig?
4. Primäre Aufgabe des Lärmschutzes ist es, die Belästigungen für die Bürger so gering wie möglich zu halten, und gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden. Dabei kommt dem Schutz der Nachtruhe besondere Bedeutung zu. Deshalb unterscheidet der Gesetzgeber zwischen den Ganztageswerten Lden und den Nachtwerten LNight. Die Auslösekriterien für Maßnahmen werden vom Umweltbundesamt wie folgt empfohlen:
Empfehlungen des UBA (2)
Zum Schutz der Nachtruhe empfiehlt das UBA also, bei Überschreitung des nächtlichen Lärmpegels von 55 db(A) kurzfristig Maßnahmen durchzuführen, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden. Mittelfristig sollen überall dort Maßnahmen angestoßen werden, wo der nächtliche Lärmpegel 45 db(A) überschreitet.
Auf Seite 17 des LAP 2016 legt die Stadt fest, dass vordringlicher Handlungsbedarf erst bei Werten von 70/60 db(A) bestünde, Die Empfehlungen des UBA von 65/55 db(A) werden als ergänzender Handlungsbedarf angesehen, und damit im Wesentlichen ignoriert.
Wir fragen daher: Wird die Stadt Mainz im LAP 2024 den Empfehlungen des UBA folgen und kurzfristig überall dort aktiv werden, wo einer der Werte 65/55 db(A) überschritten wird. Wenn die Stadt Mainz kurzfristige Aktionen erst für höhere Werte plant, warum?
5. Die Problematik des Lärms der Fernstraßen wird im LAP2016 angesprochen, auf Seite 19 steht: „Entlang des Autobahnringes und an den Durchfahrtsstraßen der äußeren Stadtteile 27 bzw. zentralen Einfall-/ Ausfallstraßen von Mainz in Höhe Gonsenheim, Finthen, Marienborn, Hechtsheim, Laubenheim liegen weitere Gebäude mit Pegeln über LDEN = 70 dB(A)/ LNight = 60 dB(A).“
Dennoch hat der LAP auf irgendwelche Maßnahmen verzichtet. Auf das Thema Geschwindigkeitsbegrenzung wegen Lärmschutz findet man im LAP als Stellungnahme der Stadt Mainz nur den Satz: „Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der A 60 und der A 63 wird vom Landesbetreib Mobilität festgelegt.“ (Anlage 3, Nr. 68). Auf Nachfrage bestätigte die Stadt, dass sie sich nicht für Lärmschutzmaßnahmen an den von Land und Bund betriebenen Fernstraßen berechtigt fühlt. Dabei sieht die Lärmaktionsplanung Geschwindigkeitsbegrenzungen ausdrücklich als Mittel vor. (3)
Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu.
Eine Einschränkung der Zuständigkeit der Stadt für Lärmaktionsplanung gibt es nur für die Haupteisenbahnstrecken des Bundes mit Maßnahmen in Bundeshoheit, für die das Eisenbahnbundesamt zuständig ist.
Das Verwaltungsgericht Mainz führt in seinem Urteil vom 14.04.2021 (Aktenzeichen: 3 K 431/20.MZ)
auf Seiten 21 und 22 wörtlich Folgendes aus:
„...Eine Gesamtlärmbetrachtung findet vielmehr regelmäßig im Rahmen einer Lärmaktionsplanung im Sinne von § 47d Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG – statt, für die indes die Gemeinde zuständig ist (§ 47e BImSchG). Im Rahmen von Lärmaktionsplänen können auch Geschwindigkeitsbeschränkungen als nicht planungsrechtliche Festlegungen aufgenommen werden, an die die Straßenverkehrsbehörde als Fachbehörde gemäß § 47d Abs. 6 i.V.m. § 47 Abs. 6 BImSchG gebunden ist (vgl. VGH BW, Urteil vom 17. Juni 2018 – 10 S 2449/17 –, NVwZ-RR 2019, 21 = juris Rn. 28). Der Lärmaktionsplan der Stadt Mainz sieht indes keine Festlegung einer Geschwindigkeitsbeschränkung für die A 63 vor. ...“
Das Gericht weist also der Stadt Mainz, und nicht der Straßenverkehrsbehörde, das Recht und die Verantwortung zu, Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Lärmschutz anzuordnen.
Wir fragen daher: Wird die Stadt Mainz bei der anstehenden Überarbeitung im Lärmaktionsplan eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h auf den Autobahnen A 60 und A 63 im Bereich von Mainz-Marienborn anordnen, falls die Schwellenwerte zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen überschritten sind? Ab welcher Betroffenenzahl? Wenn nein, warum nicht?
Dr. Claudius Moseler
Fraktionsvorsitzender
(1) www.laiimmissionsschutz.de/documents/hinweise_zur_laermaktionsplanung_2017_03_09_1503575612.pdf Seite 4.
(2) www.umweltbundesamt.de/themen/verkehrlaerm/umgebungslaermrichtlinie/laermaktionsplanung
(3) www.laiimmissionsschutz.de/documents/hinweise_zur_laermaktionsplanung_2017_03_09_1503575612.pdf Seite 27